Karl Boland

Vom alten „Rheinischen Manchester“ über die „autofreundliche Stadt“ zum „großen Drive-In“

Ein heimatkundlicher Blick über die Transformation eines öffentlichen Raumes in der postindustriellen Situation

Alte Fotos der Stadt Mönchengladbach aus der Zeit vor dem II. Weltkrieg zeigen die Stadt typischerweise mit der damals für sie typischen „Skyline“ bestehend aus Kirchtürmen und Textilfabrikschornsteinen. Das änderte sich ab den 60er Jahren der Nachkriegszeit und diese Veränderung beschleunigte sich rasant, bis dann in den 80er und 90er Jahren der Niedergang der ehedem dominierenden Textilindustrie komplett war. Nach und nach verschwanden die vormals das Stadtbild beherrschenden Bauten der Textilindustrie aus dem Blickfeld. Sie wurden entweder abgerissen und die Grundstücke meistenteils mit Wohnungen bebaut oder wurden zu Supermärkten umgewandelt, wobei ihnen ihr Äußeres als Repräsentanten des sog. „Backsteinbarock“ der Industriearchitektur geraubt wurde: Man strich sie weiß an und/oder verkleidete sie mit sterilen Metall- oder Plastikfassaden. Einen ähnlichen Weg gingen die früher im Stadtbild vorhandenen Arbeitersiedlungen der Aktien-Baugesellschaft, die man privatisierte und ohne Denkmalschutzauflagen der individuellen Gestaltungswut ihrer neuen Eigentümer überließ. Was heute noch davon übrig geblieben ist, sieht großteils grauenhaft aus; man kann ihren Ursprung als Teil der ehemaligen Baukultur der typischen Gladbacher Webersiedlung kaum mehr erkennen.

Dem Niedergang der Baumwoll-Textilindustrie – eine mittelständig strukturierte Industrie mit niedrigen Einkommen der Arbeiterschaft im Dreischichtbetrieb, mit relativ vielen Arbeitsplätzen auf Niedrigqualifikationsniveau und mit hohem Frauenanteil in der Gruppe der Geringverdiener – folgte keine Phase des gelingenden Strukturwandels, sondern eine jahrelange Hängepartie verbunden mit Langzeitarbeitslosigkeit und Armutskarrieren in fast einem Fünftel der Stadtbevölkerung. In der Kommunalpolitik wird angesichts dieser Entwicklung eher kryptisch von einer „schwierigen Sozialstruktur“ in Mönchengladbach gesprochen. Und man meint damit, dass es mittlerweile eine verfestigte soziale Unterschicht in der Stadt gibt, die – wenn überhaupt – nur noch sporadisch Beschäftigung im Niedriglohnsektor findet. Die Kaufkraft der Menschen in Mönchengladbach ist deswegen auch vergleichsweise gering. Optisch erkennbar tritt das mit den zahlreichen Ein-Euro-Läden ins Stadtbild.

Es flossen auch nie die öffentlichen Subventionen in diese Stadt, die z.B. im Ruhrgebiet den Strukturwandel zu beschleunigen und dessen soziale Folgen abzufedern suchten. Es gab auch nie relevantes öffentliches Geld (mit Ausnahme der Bauförderung des Abteiberg-Museums), um kulturell die wirtschaftlich um einen Neuanfang ringende Stadt aufzuwerten. Der Versuch, sich nach der kommunalen Neuordnung im Jahr 1975 als „Großstadt“ auch kulturell zu inszenieren, wurde mangels Finanzmittel rasch aufgegeben. Man sprach dann nur noch vom Ziel einer „kulturellen Grundversorgung“. Die politisch Verantwortlichen in Mönchengladbach setzten in diesen Jahren v.a. auf das Planungskonzept einer „autogerechten Stadt“ und auf die Ansiedlung neuer Industrien, die nie in größerem Maße kamen. Was kam, waren große Logistikzentren am Rande der Stadt und zahlreiche Bau- und Fachmärkte und Lebensmittel-Diskcounter in der Stadt selbst. Der innerstädtische Einzelhandel hatte bereits unter der Ansiedlung der zahlreichen Supermärkte seit den 60er Jahren gelitten und wurde in den Randgebieten der Zentrumslagen stark ausgedünnt.

Schaden genommen hatte durch diese autofixierte Planungspolitik (man wirbt heute noch für die City als „autofreundliche Stadt“) an erster Stelle die Aufenthaltsqualität der Straßen und Plätze der Stadt. Mönchengladbach gehört heute zu den Städten mit einem deutlich überdurchschnittlichen Anteil von Autoverkehr am gesamten Verkehrsaufkommen. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club hat im Januar dieses Jahres die Stadt Mönchengladbach mit der Note „5“ als radfahrerunfreundlich abqualifiziert. In Zeiten, in denen eine mobile Gesellschaft es sich jederzeit aussuchen kann, wo sie ihre Shopping-Touren durchführen möchte, wird aber die Urbanität – oder modisch gesagt das „Flair“ – der ausgesuchten Orte aber zu einem ganz starken Stadtortfaktor in der Konkurrenz der Städte.

Der Neubau des innerstädtischen Handels-und-Dienstleistungszentrums, die „Mönchenglad­bach-Arkaden“, findet auf dem Grundstück einer ehemaligen Textilfabrik aus dem 19. Jahrhundert statt. Diese wich dem Standort des damals neuen Mönchengladbacher Stadttheaters in den 50er Jahren. Und das vor Jahren aufgegebene Gebäude des Stadttheaters hat jetzt einem großen Warenhaus zu weichen, welches nach Aussage ihrer Macher u.a. dazu dienen soll, das „Markenportfolio des Einzelhandels in Mönchengladbach komplett zu machen“. Die „Mönchengladbach-Arkaden“ werden – so die Planungen – jeden Tag tausende neue Autos in die Innenstadt ziehen. Dafür hat man eine neue Schneise durch die Innenstadt geschlagen, damit die Fahrzeuge in die Parkhäuser fahren können. Es gibt bislang aber kein Konzept, um die zusätzlich produzierten CO2- und Feinstaubemissionen in den Griff zu bekommen. Die Stadt ist dadurch aber durch eine neue ´Wunde´ gezeichnet, die die Erschließung der Innenstadt durch Fußgänger und Radfahrer erschwert und das Flanieren der Menschen durch Gassen und Straßen unattraktiver macht.

Der Gesichtspunkt der Urbanität aber ist in Mönchengladbach im Laufe der Jahre weitgehend aus dem Blick gefallen und der Bau dieser modernen Shopping-Mall auf dem Grundstück des alten Stadttheaters wird mehr Automobilisten in die Innenstadt ziehen. Straßen und Plätze werden in der Innenstadt offensichtlich nur noch gelitten, wenn sie sich wirtschaftlich rechnen. Ein Theatergebäude mit seinem Vorplatz ´rechnet´ sich offensichtlich nicht mehr. Die City entwickelt sich dadurch Stück für Stück zu einen großen „Drive-In“, welches nur noch angefahren wird, um auszusuchen, zu kaufen, einzuladen und wieder fort zu fahren. Das kann man aber überall sonst haben. Schade für Mönchengladbach.

Karl Boland ist Soziologe und Vorsitzender des Stadtkulturbund Mönchengladbach.